Sonntag, 3. Juli 2016

Eine kurze Meinung zu "Spotlight"

Einen wunderschönen guten Tag zusammen,

im Moment bin ich dabei, Ludwig Feuerbachs "Wesen des Christentum" zu bearbeiten. Da sich der gute Herr Feuerbach nicht unbedingt ganz kurz gehalten hat in seinen Ausführungen (da soll nochmal einer sagen, unsereins hätte zu viel Zeit), dauert es noch ein Weilchen, bis die nächste ausfühlichere Analyse im Blog steht.
Um die Wartezeit ein wenig zu überbrücken und damit es für euch (und vor allem für mich selbst) nicht zu hart wird, möchte ich euch in diesem Beitrag so etwas wie eine kleine Rezension bzw. eine Meinung über den Film "Spotlight" geben.

Die Geschehnisse des Films von Tom McCarthy mit Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams und Liev Schreiber in den Hauptrollen spielen sich Ende 2001/Anfang 2002 ab.
Der Film bekam 2016 zwei Oscars, unter anderem für den besten Film.
Er behandelt die Arbeit eines Journalisten-Investigativteams (ein Spotlight-Team) des Boston Globe, einer großen Tagezeitung aus Bosten, Massachusetts, rund um die Aufdeckung des Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in Bosten und den USA.
Angefangen mit dem mehrfachen Missbrauch des Ex-Priesters John Geoghan deckt das Team auf, dass es sich nicht nur um Einzeltaten, sondern jahrzehntelangen Missbrauch durch annähernd 90 Priester im Großraum Bosten handelte, die nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern lediglich von Gemeinde zu Gemeinde versetzt wurden durch den damaligen Erzbischof vom Erzbistum Boston Kardinal Bernhard Law.

An dieser Stelle zunächst ein Kommentar zur Art und Weise des Films und seiner Dramaturgie: Im Zentrum steht die Arbeit der Journalisten. Man ist in der detaillierten Arbeit regelrecht "drin" und sieht wie nach und nach ein "Puzzleteil" nach dem anderen zusammengefügt wird. Das Journalistenteam wird damit mehr zu einer "Polizeieinheit", die ein Verbrechen aufgeklärt, denn zu einem klassischen Journalistenteam.
Mein Gefühl war, dass es keinen wirklichen "Höhepunkt" im Film gibt, sondern dass der Film sich von Minuten zu Minute, von Puzzleteil zu Puzzleteil langsam nach oben klettert. Die Schauspieler wirken absolut authentisch und es zeigt sich, dass dieser Spotlight kein herkömmlicher für sie ist (vor allem wird dies bei Rachel McAdams deutlich, deren Großmutter im Film selbst drei Mal die Woche in die Kirche geht).
Im Zentrum stehen die, für mich, z.T. sehr mitreißenden Dialoge, die auch hauptverantwortlich sind für die Spannung.
Eine nette Kleinigkeit am Rand sinde sicherlich die dicken Computer und für uns im Jahr 2016 sicherlich recht "primitiven" Druckerpressen und Mobiltelefone.

Zum Inhalt:
Die Enthüllung des Missbrauchsskandals der katholischen Kirche in Bosten war die erste größere Enthüllung des Missbrauchs von katholischen Geistlichen und/oder Kirchenmitarbeitern weltweit.
Zwar kam in den 1990er Jahren bereits der Missbrauch in der katholischen Kirche in Irland heraus, in diesem Falle war aber zum ersten Male die Systematik im Zentrum der Betrachtung
In Deutschland ist in diesem Zusammenhang sicherlich noch das Jahr 2010 im Gedächnis, als die Missbräuche in Deutschland durch die Enthüllungen des Jesuiten-Paters und Leiter des Canisius-Kollegs Klaus Mertens in Berlin öffentlich wurden.

Was den Filmemachern absolut zu Gute zu halten ist, ist eine Differenzierung bei der Verantwortung. Zum einen werden die Täter echt und hautnah gezeigt. Die Priester, die die Verbrechen begannen haben, bekommen Namen und Gesichter. Ich denke, dass dies enorm wichtig ist, ansonsten wäre die Materie sehr abstrakt geblieben.
Zum anderen werden die Instution und das "System" in den Fokus gerückt. Die Taten per sé sind die eine Hälfte dieser unglaublich hässlichen Medallie. Die andere Hälfte besteht aus der systematischen Verschleierung, hier namentlich durch Kardinal Bernhard Law. Bezeichnend (und gleichzeitig bedrückend) ist es in diesem Kontext wahrscheinlich, dass die Versetzung von auffällig gewordenen Priestern in den Büchern beispielsweise als "krankheitsbedingt" bezeichnet wird.
Aber auch die Bostoner Gesellschaft selbst trägt eine Mitverantwortung. Der mehrfache und über Jahrzehnte gehende Missbrauch an Kindern in der Bostoner katholischen Kirche war (so suggeriert es der Film) war offensichtlich annähernd ein offenes Geheimnis für die Polizei, die Politik,  administrative Verwaltungsinstitutionen, usw.
Selbst die Journalisten des Boston Globe selbst werden in die Verantwortung genommen, da sie jahrelang entsprechende Informationen lediglich als kleine Berichte, die nicht weiter verfolgt wurden, verarbeitet hatten.
Und das ist auch durchaus wichtig, um den Missbrauch sachlich einordnen zu können: Wir haben es in den 1970er und 1980er Jahren (in dieser Zeit gab es die meisten Übergriffe, ab den 1990er Jahren sind die Zahlen stark rückläufig) mit einer noch nicht so stark individualisierten und unabhängigen Gesellschaft zu tun haben. Politik, Kirche, Administration, Kultur, und Gesellschaft sind so stark miteinander verworren, dass die Täter nicht nur aus der katholischen Kirche per sé stammen, sondern fast schon aus der Gesellschaft selbst.
Gerade in einer Stadt wie Boston, deren Bevölkerung überwiegend (irisch-)katholisch [über 50%] ist, und in der alles so stark zusammenhängt.
Dennoch bleibt selbstverständlich die Institution römisch-katholische Kirche im Zentrum der Betrachtung.

(Meine persönliche) Einordnung:
Nach dem Bekanntwerden des Ausmasses des Missbrauchs musste Kardinal Bernhard Law zurücktreten und wurde nach Rom als Erzpriester einer Kirche versetzt (dass er, dem man definitiv nachweisen konnte, dass er jahrzehntelang auffällig gewordene Priester einfach nur versetzt hatte, trotz allem noch die recht hohe Position eines Erzpristers einer wichtigen römischen Kirche anvertraut hatte, kann man dieser Stelle natürlich kritisieren).
Es folgten einige große Studien über den Missbrauch, allen voran die John-Jay-Studie. Diese Studie und eine noch laufende Studie zu dem sexuellen Missbrauch in Deutschland würde ich gerne als Grundlage meiner Gedanken nehmen.
Es zeigt sich nämlich vor allem eines: Der Missbrauch in der katholischen Kirche unterscheidet sich nicht (nimmt man die Statistiken) von dem Missbrauch außerhalb der katholischen Kirche.
Einige Zahlen:
Es sind zwischen 4-7 % der Priester in den USA übergrffig geworden. Die meisten sexuellen Handlungen beinhalteten die Ausübung eines Machtfaktors und es handelte sich in ca. 96% nicht um Sex im juristischen Sinne.
Der aktuelle Zwischenstand zur Studie in Deutschland zeigt zudem auf, dass ca. ein Drittel der Täter eine emotionale und/oder sexuelle Unreife haben.

Diese "Hot Spots"sollten reichen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Jetzt stehen natürlich die Fragen im Raum: Wie kann man dies verhindern und wie sollte/muss gegen Täter vorgegangen werden?

Ausblick:
Der erste Aspekt, der in diesem Zusammenhang meistens diskutiert wird (vor allem bei Diskussionen auf "Stammtisch-Niveau"), ist der Zölibat, der für Priester der römisch-katholischen Kirche verpflichtend zur Ausübung des Priesteramtes ist.
Es soll direkt vornherein festgehalten werden: Es gibt definitiv KEINEN direkten Zusammenhang zwischen Pflichtzölibat und Missbrauch. Es haben sich Wissenschaftler aus den verschiedensten Bereichen mit dem Missbrauch beschäftigt (Kriminologen, Biologen, Theologen, Psychologen, etc.) und es ist eindeutig: Nur, weil ein Mann ehelos und enthaltsam lebt, hat er weder einen "starken Druck" (an dieser Stelle möchte ich gerne den Stammtisch-Jargon benutzen, um ganz deutlich zu werden), noch "furchtbare Phantasien" und ist stärker gefährdet als in einer Ehe lebende Männer bzw. Männer, die regelmäßig ihre Sexualität ausleben.
Im Gegenteil. Und an dieser Stelle erneut eine Statistik: Es ist 36-mal wahrscheinlicher Opfer eines Nicht-Priesters zu werden als eines Priesters.
Der Mensch ist schließlich kein einfälltiges Wesen, das nur von seinem Instinkt gesteuert wird und das "durchdreht", wenn es seine Sexualität nicht auslebt.
Dazu empfehle ich, sich näher mit der Thematik der sogenannten "Sublimierung" (nach dem Vater der Psychoanalyse Dr. Sigmund Freud, der selbst im Allgemeinen ein Religionskritiker war) zu beschäftigen, die aufzeigt (in einfachen und groben Worten), dass jeder Mensch selbstverständlich ein "sexuelles Potential" besitzt und es Mechanismen gibt, die einen Menschen eigentlich dahin führen, dieses sexuelle Potential auch zu nutzen und auszuleben. Da der Mensch (rein kognitiv schon) aber in der Lage ist, nicht jeder pysischen Präposition nachzugeben, ist er auch in der Lage, die sexuelle Energie zu kanalisieren oder (um es mit den Worten Freuds zu sagen) zu sublimieren.
Auch das Argument, dass ein enthaltsam lebender Mensch automatisch eher missbrauchsauffällig werde als ein nicht enthaltsam lebender Mensch schon einem der "gesunde Menschenverstand" sage, ist hinfällig. Das, was allgemeinhin als "gesunder Menschenverstand" bezeichnet wird, ist sehr stark kontext-, kultur-, und gesellschaftsabhängig. Hier sei nur kurz darauf verwiesen, dass die Eugenetik im 20. Jahrhundert ebenfalls u.a. mit dem "gesunden Menschenverstand" begründet wurde (Eugentik = die Ansicht, dass Menschen aus bestimmten Ethnien weniger gute Gene haben als aus anderen Ethnien und Gebieten; war in der gesamten westlichen Welt mehr oder weniger Konsens - erreichte den Höhepunkt Ende der 1930er Jahre durch beispielsweise die Nürnberger Rassengesetze des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland).
Obgleich ich mich eher als Befürworter des Pflichtzölibats sehe, ist er natürlich diskutabel. Auch und vor allem theologisch, da er beispielsweise kein Dogma, also feststehender Glaubensgrundsatz, ist.

Der Ansatz sollte eher in der Priesterausbildung gesucht werden. Wir haben es nach dem zweiten Weltkrieg in der westlichen Welt mit einer immer stärker säkularisierten Welt zu tun, in der es für jemanden, der sein ganzes Leben ausschließlich nach dem Glauben ausrichtet, immer schwieriger wird, Profil zu zeigen. Das ist bei den "Laien" so (hier als kirchenrechtlicher Begriff benutzt) und erst recht bei Priestern.
Gerade Gemeindepriester mit immer größeren Gemeinden laufen der Gefahr, zu vereinsamen. Die Unterstützung hier muss größer werden.
Dies hat auch die John-Jay Studie gezeigt, nach die Zahl der auffällig gewordenen Gemeindepriester fast doppelt so hoch war wie die der Ordenspriester.

Zudem muss eines in vielen katholischen Kreisen noch anerkannt werden:
Zur katholischen Kirche (neben der römisch-katholischen Kirche zählen dazu auch die sogenannten mit Rom unierten Kirchen östllichen Ritus) gehören weltweit 1,2 Milliarden Menschen. Damit ist jeder siebte-achte Mensch auf dem Planeten katholisch. Es gibt knapp 1,3 Millionen Männer und Frauen geweihten Lebens, davon ca. 800.000-900.000 Welt- und Ordenspriester.
Die katholische Kirche ist in beinahe jedem Staat der Erde vertreten. Wer glaubt, es gäbe nur "die Guten" dabei oder alles ist "heilig" in der Kirche, der glaubt auch, dass Schweine fliegen können (ich bitte um Verzeihung für diese Polemik, aber ich konnte nicht anders).
Es gibt genauso "Sünder" in der katholischen Kirche wie außerhalb davon. Und dessen ist sich die Kirche auch bewusst. Vom Zweiten Vatikanischen Konzil über das Mea Culpa durch Papst Johannes Paul II im Jahr 2000 bis hin zu Papst Franziskus, der den Missbrauch (überwätigend zutreffend wie ich finde) als "satanische Messe" bezeichnet hat.
Eines ist nur wichtig für die katholische Kirche und alle die sich ihr zugehörig fühlen, und dazu zähle ich nicht zuletzt mich selbst auch: Das MUSS so klar gesagt werden. Und bei Missbrauch darf es keine Toleranz geben.
Das Christentum ist wahrscheinlich die leib-freundlichste Religion. Unser Gott ist selbst Mensch in einem Leib geworden. Bei Missbrauch ist das Verhältnis zum Leib für immer zerstört.
So wie Jesus bei den Geldwechslern im Tempel eine Null-Toleranz-Haltung gehabt hatte, muss es auch bei Missbrauch eine Null-Toleranz-Haltung geben.

Dass Jesus mit seiner Kirche, also seiner Gemeinschaft, durchaus ein schwieriges Verhältnis hat, zeigt sich vielleicht auch dadurch, dass der, dem er "die Schlüssel des Himmelreich" gab, nämlich Petrus, ihn drei mal verleugnete. Ein weiterer aus der Mitte seiner Gemeinschaft (Judas) verriet ihn und als Jesus gekreuzigt wurde, waren die Jünger erst mal von Angst und Entäuschung gezeichnet.
Doch genauso wie die Liebe eines Menschen zu einerm anderen Menschen nicht nur aus Eitel-Sonnenschein besteht, besteht auch die Liebe Gottes zu den Menschen nicht nur aus Eitel-Sonnenschein.
Wichtig aus christlicher und kirchlicher Sicht ist nur, dass man nie das vergisst, was immer wieder betont und in den Vordergrund gestellt werden muss: Das Evangelium, die frohe Botschaft.

Dass dies zuweilen nicht immer von Erfolg gekrönt ist, macht den Versuch nicht gleich sinnlos, sondern im Gegenteil: Es ist immer wieder eine spannende und aufregende Aufgabe.